menschen treffend: wolfgang

Es ist ein routinierter Ablauf. Um 8:30 Uhr kommt er in der Firma an, Parken am Mitarbeiterparkplatz, die paar Schritte zum Hintereingang, wo er die ersten Raucher begrüßt, über die Stiegen in den ersten Stock, zum Kaffeeautomat (Verlängerter, aktuell: € 1,-), dann nochmal zum Hintereingang um auch noch eine Zigarette zu rauchen. Ein paar Worte über das Wetter werden gewechselt, dann ein paar Sätze zur Familie, Nachfrage, wie es den Kindern geht. Zigarette austöten, wieder in den ersten Stock, kurz vor 9:00 Uhr, einstempeln, kurze Nachfrage im Büro, ob heute irgendwas Besonderes ansteht., dann wieder ins Erdgeschoss und von dort mit dem Lastenaufzug ins oberste Geschoss. Licht einschalten, die Neonröhren beginnen zu surren. Aus dem Dunkel erscheinen die vielen hohen Regale. Möbel.

Das ist das Reich von Wolfgang. Er kennt hier jeden Winkel, unter dem Dach, ohne Fenster, wo es etwas staubig ist, was sich nicht vermeiden lässt, wo aber eine absolut Ordnung herrscht, herrschen muss. Im Gang neben dem Lastenaufzug hat er Seit mittlerweile 27 Jahren arbeitet er in diesem Möbelhaus, das an diesem Ort seit über 50 Jahren existiert. Es ist keines dieser riesigen Möbelhäuser sondern ist seit über 50 Jahren unverändet groß, auch wenn durch diverse Umbauten in den Jahren Platz immer mehr opitimiert wurde. Wolfgang hat noch 4 Jahre bis zur Pension, eventuell weniger, wenn sein Rücken tatsächlich nicht mehr mitspielen sollte. 

Lagerarbeiter, Lagerleiter, Lagerlogistiker – so verlief sein Aufstieg in der Firma, mittlerweile wird er nur noch allgemein als Logistics geführt. Es hat sich viel geändert, manches hat ihm die Arbeit erleichtert, manches ist mittlerweile etwas komplizierter, beides steht im Zusammenhang mit dem Logistik-Computer. Es ist wie mit den Möbelstücken: Sie werden kleinteiliger und gleichzeitig leichter, früher waren sie größer und schwerer, dafür stabiler. „Alles hat seine Vor- und Nachteile“, sagt er immer, und „Qualität ist schwer zu finden und kostet natürlich.“ Das weiß er, eigentlich ist Wolfgang gelernter Tischler, war ein paar Jahre in einer Tischlerei beschäftigt, bis diese zusperren musste und er seine Arbeit verlor. 

Seine Aufgabe nun hier: Menschen kaufen in den Stockwerken darunter ihre Möbel, sobald ein Verkäufer die Rechnung ausdruckt, wird er benachrichtigt und bereitet die Möbel zur Ausgabe vor. Er fährt mit dem Schwerlast-Plattformwagen zum entsprechenden Lagerregal und hebt das oder die Möbelstücke darauf und fährt mit diesen dann möglichst schnell mit dem Lastenaufzug ins Erdgeschoss, in die Lagerhalle an der Ausgaberampe. Oft stehen dort schon die Käufer und händigen ihm im Tausch für die Ware die Rechnung aus. Bis zur Rampe bringt er sie, nur in Ausnahmefällen hilft er auch bei der Beladung ins jeweilige Fahrzeug, bei überforderten Pensionisten beispielsweise, die sich ein neues Kästchen gönnen, das gerade verbilligt im letzten Werbeprospekt beworben war und von dem er noch unzählige Kartons auf Lager hat. Jungväter packen meist selbst gerne und allzu beherzt selbst an der Rampe an, um ihre Kraft zu beweisen, diesen hält er höchstens noch den Schwerlast-Wagen, weil er sonst über die Rampe rollen würde. Alleinstehende Männer kontrollieren meist noch die Pakete oder Möbelstücke auf Beschädigungen, die können natürlich vorkommen, lassen sich aber vermeiden. Unterschrift, Stempel, und schon fährt Wolfgang wieder mit dem Lastenaufzug in den letzte Stock, wo schon die nächsten Aufträge auf ihn warten. Es gibt Tage, wo er gar nicht dazu kommt, mit Heimo, der in der Lagerhalle arbeitet, mehr als einen schnellen Spruch zu wechseln. Er hat zwar einen Helfer, momentan Alex, aber auch mit ihm kommt er kaum zum Reden, Alex arbeitet drei Stunden weniger als Wolfgang und ist seit dem letzten Jahr sein mittlerweile sechster Helfer, da niemand lang bleiben will, und Alex wird in zwei Monaten auch weg sein, weil er einen besseren Job gefunden hat. 

Die Einsamkeit, hier, unter dem Dach, macht Wolfgang eigentlich nichts, früher hat er Zeitung gelesen, zwischenzeitlich hatte er sogar einen kleinen Fernseher, der ihm aber von der Geschäftsführung verboten wurde, mittlerweile drückt er auf seinem Smartphone herum, scrollt durch Nachrichten- oder Sport-Seiten oder googlet Bilder von nackten Frauen. Aber er kommt kaum dazu, auf seinem Telefon herumzuspielen, denn erstens hat er genug zu tun und zweitens ist der Empfang hier, unterm Dach, sehr schlecht.